„Elektroautos hat es hier früher nicht gegeben. Das ist also die moderne Zeit“, sagt Steven Baker und nippt an seinem Budweiser Light. Vor dem hellen Licht hier oben schützt der Mittvierziger seine Augen mit einer Pilotenbrille und sieht dabei aus, wie man sich einen Motorsport begeisterten Ur-Einwohner in Colorado vorstellt.
Ein kräftiger Typ mit leichtem Bauchansatz, Baseball-Cap, viel zu großer Jeans und Nike-Turnschuhen an den Füßen. Der es am liebsten mag, wenn es laut knattert. Früher, ja früher, da wurden hier beim „Hill Climb“ echte Legenden geboren. Wie Walter Röhrl.
Wir sind am Pikes Peak. Der Berg nahe Colorado Springs, mit seiner Höhe von 4.301 Metern, ist das Motorsport-Mekka der Rocky Mountains. Seit 1916 wird hier alljährlich mit dem „Pikes Peak International Hill Climb“ ein traditionelles Bergrennen ausgetragen, Race to the Clouds.
Eine Veranstaltung, die auf Grund ihres hohen Prestigefaktors sowohl Autohersteller als auch Fans in den Bann zieht. Heutzutage zeigen sich Hersteller am Berg auf zwei oder vier Rädern mit meist eigens angefertigten Fahrzeugen. Die Modelle sind speziell aufbereitet und auf Sieg getrimmt oder dienen als technische Vorreiter zu Marketing- und Imagezwecken.
Krasse Schotter- sowie Asphaltpisten stellen Pilot und Material auf dem rund zwanzig Kilometer langen Weg zum Gipfel vor heikle Aufgaben. Beim „Race To The Clouds“ müssen unter Vollgas um die 1.500 Höhenmeter und anspruchsvolle Kurven genommen werden, um das Ziel auf Bestzeit zu erreichen.
Da sich der Start in 2.800 Metern Höhe befindet, ändern sich Wetterbedingungen wie die Außentemperatur und der Luftdruck so häufig, wie Steven ein neues Bud aufschnippt. Ein Rennen also, bei dem Mensch und Maschine beim Hochbrettern zur Spitze des Pikes Peak verschiedensten Einflüssen ausgesetzt sind.
Die Fahrer, die diesen Kurs in Angriff nehmen, glänzen vor allem durch Mut. Denn die übliche Sicherheit, wie bei anderen Rallye-Veranstaltungen, ist in Colorado nicht überall greifbar. An einigen Passagen geht es neben den Reifen auf der teils ungefestigten Straße direkt ab in die Tiefe. Zuschauer sitzen oder stehen, wenn es möglich ist, neben der Fahrbahn und können das Spektakel so aus nächster Nähe verfolgen.
Einer dieser Piloten, der den Mumm hatte und sich hier am Pikes Peak mit einer fabelhaften Bestzeit unsterblich machte, ist die deutsche Rallye-Legende Walter Röhrl (71). Wir schreiben das Jahr 1987. Röhrl ist bei Audi unter Vertrag und die Ingolstädter haben den Ehrgeiz, mit ihrem Audi Sport quattro S1 ein Stück Motorsportgeschichte zu schreiben.
In den Jahren zuvor hatte das Fahrzeug auf Grund seiner Unhandlichkeit bei Rallyes und Weltmeisterschaften mit diversen Problemen zu kämpfen. Trotz einiger beachtlicher Erfolge konnten Röhrl und die anderen Fahrer lediglich einen WM-Lauf für sich entscheiden.
Nun stand der große, schlaksige Regensburger – „der Lange“ genannt – also mit seinem verbesserten, kantigen Boliden und 598 PS am Pikes Peak. Die Konkurrenz las sich wie das Who-is-Who des Rallyesports und war ausgerechnet 1987 mit etlichen Profi-Rallyefahrern, die in besonders wendigen Rennern antraten, sehr stark. Röhrl wurden keine großen Chancen auf einen Sieg eingerechnet. Doch es war einer dieser seltenen Momente, die Sportler zu Helden und Männer zu Legenden werden lassen.
Röhrl, der die Strecke zuvor mit seiner Frau in langsamer Geschwindigkeit abfuhr, um sich alle Kurven einzuprägen, legte das wohl berühmteste Rennen seines Lebens hin. Mit unnachahmlicher Präzision, riesengroßer fahrerischer Fähigkeit und der richtigen Portion an Ehrgeiz verewigte Walter Röhrl sich und seinen Audi Sport quattro S1 in den Geschichtsbüchern.
Die rutschige, unbefestigte Schotterpiste hoch durch die Serpentinen des Pikes Peak fraß das Audi-Flügelmonster-Duo in zehn Minuten und 47,85 Sekunden. Damit war Röhrl der erste Fahrer überhaupt, der die Strecke in weniger als elf Minuten bewältigte – ein sportlicher Meilenstein. Audi hatte eine Fabel für die eigene Unternehmensgeschichte gestrickt.
Video Pikes Peak: Walter Röhrl im Audi Sport quattro S1
„This German guy is amazing“, sagt Steven euphorisch und sein Blick bleibt fest an einem Punkt hängen, als ob er das Rennen von 1987 nochmal in seinem Kopf abspielt. Wo sonst als in den USA hätte diese Leistung besser in den Gedächtnissen hängenbleiben können. Lieben und verehren sie Helden und ihre Geschichten hier in Amerika doch am meisten: Die Menschen, die etwas ganz Außergewöhnliches geleistet haben.
Walter Röhrls Bestzeit wurde später auf der nun teilweise asphaltierten Strecke natürlich weiter verbessert. 2015 zum Beispiel gewann ein gewisser Rhys Millen, der nicht mal über einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag verfügt, mit einem Elektroauto namens EO PP03 samt 1.368 PS am Pikes Peak. Wahre Helden wie Röhrl, über die grenzenlos gesprochen wird, haben sich neue Geburtsstätten gesucht.
Für den limitierten Audi Sport quattro S1 werden heute Höchstpreise bezahlt. „Der Lange“ wird als der größte Rallyefahrer aller Zeiten verehrt und wurde mehrfach für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er startet immer noch als umjubelter Teilnehmer bei Rallyes, die ihm Spaß bereiten.
Steven Baker würde sich über ein Comeback freuen, bei dem Staub aufgewirbelt wird und die Motoren knattern. „Hier, wo Männer zu Legenden wurden“, sagt Steven, schaut sich das vorbeirauschende Elektroauto an und nimmt sich noch ein Budweiser…
Fotos: Audi / Video: YouTube (Hinweis: Dieser Artikel stammt aus dem persönlichen Archiv des Autors und wurde bereits in Printmagazinen veröffentlicht.)
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