Das „Auto der Zukunft“, die „letzte Stufe des Masterplans“: Tesla geizt nicht mit Superlativen, wenn es um das Model 3 geht, mit dem man den Massenmarkt erobern will. Gestandene Motorjournalisten flechten ihm Lorbeerkränze; mancher, der im Beisein eines Tesla-Aufpassers ein paar Kilometer Strom geben durfte, entdeckt die beneidenswerte Gabe, angesichts einer konzentriert durchfahrenen Kurve eine fundierte Gesamtbewertung abgeben zu können.
Doch wie fährt sich das Wunderauto tatsächlich? Machen wir uns in den USA auf die Suche nach dem Fortschritt. Der kleinste Tesla kommt eher unauffällig daher, mit kurzem Vorbau, ohne Kühlergrill und mit luftiger Verglasung, die ein wenig an die 1990er Jahre erinnert, als die Kunden noch keinen Wert auf den Panzer-Look moderner Autos gelegt haben. Wer angesichts des Fließhecks eine bis ins Dach reichende Heckklappe erwartet, sieht sich getäuscht: Der Zugang zum Kofferraum erfolgt über eine relativ kleine Luke.
Es gibt einen schönen Grund für das Fehlen einer Heckklappe: Das großzügige Glasdach, das sich über die Passagiere spannt und bis weit nach hinten reicht. Der Blick nach oben entschädigt allerdings kaum für den unzureichenden Sitzkomfort. Die Rückbank zwingt die Fondpassagiere in einen unbequemen Winkel. In manchem Kleinwagen sitzt man hinten besser. Vorn hingegen ist die Sitzposition komfortabel, der Tesla wirkt aus Fahrersicht übersichtlich, aber auch ungewöhnlich kompakt. Die Übersicht in alle Richtungen ist gut, die Fronthaube kurz.
Futuristisches Cockpit
Zum luftigen Gesamteindruck trägt das extrem reduzierte Cockpit bei. Vor dem Fahrer und Beifahrer erstreckten sich ein horizontaler Luftausströmer und eine edel wirkende Holzleiste. Statt klassischer Instrumente gibt es einen riesigen Zentralbildschirm, auf dem praktisch alle Funktionen angesteuert werden. Lediglich auf dem eher billig und konventionell wirkenden Dreispeichen-Lenkrad sitzen noch zwei Rändelräder, und aus der Lenksäule ragen Blinker- und Gangwahlhebel heraus. Gut gelöst ist die Ablage mitgebrachter Telefone; sie können im Sichtbereich in der Mittelkonsole aufgeladen werden.
Der Zentralbildschirm wartet mit Enttäuschungen auf. Die feinziselierte Grafik wirkt überholt, schlimmer ist jedoch, dass wichtige und auch sicherheitsrelevante Funktionen in Untermenüs versteckt sind und umständlich gesucht werden müssen. Auch die Luftausströmer lassen sich nur elektronisch ansteuern. Dabei ist es nicht sonderlich hilfreich, wenn der Bildschirm abstürzt, was uns bei einem parallel gefahrenen Model S trotz neuester Software geschehen ist.
Die aufwendigen und teuren Gimmicks kontrastieren mit überwiegend äußerst frugalen Materialien und einer Verarbeitung, die derart nachlässig ist, dass man die Prioritäten der Verantwortlichen in Zweifel ziehen muss. Immerhin passten beim von uns gefahrenen Fahrzeug die Spaltmaße und das Fugenbild ungefähr. Doch die Aussage von Firmenchef Elon Musk, dass die Qualität des Model 3 „um den Faktor 10″ besser wäre als bei Vergleichsfahrzeugen, sorgt bei Experten für Gelächter.
Übrigens hat die von uns gefahrene Version mit Heckmotor, Heckantrieb und rund 265 PS Leistung gleich zwei Kofferräume. Besonders groß sind sie nicht, aber immerhin passt vorn noch ein Handgepäck-Koffer hinein. Es gibt auch noch allradgetriebene Varianten mit einer weiteren Antriebseinheit vorn, das vordere 85-Liter-Fach entfällt dann.
Mäßige Fahrdynamik
Um loszufahren, muss eine Karte, die den Schlüssel ersetzt, kurz auf der Mittelkonsole abgelegt werden. Anschließend setzt sich der Tesla nahezu lautlos in Bewegung. Und es geht richtig zur Sache, wenn man das Fahrpedal niederdrückt. Gut 5,0 Sekunden verstreichen, bis die 100-km/h-Marke durchmessen wird, die Spitze liegt nach Werksangaben bei 225 km/h. Die Geräuschdämmung ist jedenfalls im Bereich bis 130 km/h sehr gut, ein Autobahntest steht allerdings noch aus.
Die Reichweite liegt übrigens bei 500 Kilometern – unter günstigsten Umständen. In der Praxis sind es deutlich weniger. Dann muss nachgeladen werden – und zwar unter Umständen sehr lange, wenn nicht gerade eine Schnell-Ladesäule verfügbar ist. Während die Längsdynamik überzeugt, hat uns das Handling des Model 3 nicht sonderlich beeindruckt. Der niedrige Schwerpunkt hilft zwar, aber das hohe Gewicht von mehr als 1,7 Tonnen beeinträchtigt die Querdynamik erheblich.
Im Grenzbereich schiebt das Model 3 über alle vier Räder zum Kurvenausgang. Dabei legt das Auto eine beträchtliche Seitenneigung an den Tag. Ein Go-Kart hat Tesla hier jedenfalls nicht gebaut, und auch das Einlenkverhalten ist nicht überdurchschnittlich agil. Keine Freude bereiten überdies die Bremsen: Schwammig und gefühllos, ohne präzisen Druckpunkt sind sie für einen engagierten Fahrstil kaum geeignet.
Doch wer das Model 3 scharf herannimmt, wird ohnehin eher früher als später vom Thermomanagement eingebremst. Denn die große Hitze, die bei aggressivem Fahrstil in Antrieb und Batterien entsteht, lässt sich nur durch Leistungsreduzierung in Griff bekommen. Leider stehen den nur durchschnittlichen Handling-Eigenschaften keine überragenden Komforteigenschaften gegenüber.
Ganz im Gegenteil: Das Auto rollt hart ab und wirkt unkomfortabel. Gerade für die hinten Sitzenden werden längere Fahrten so zu einer Zumutung.
Riskanter Autopilot
Doch Tesla will noch in einem anderen Bereich brillieren: Der „Autopilot“, so der Anspruch, will die Assistenzsysteme der Konkurrenz deutlich deklassieren. Doch Teslas System ist mit Vorsicht zu genießen. Zwar muss in 30-sekündigem Abstand das Lenkrad touchiert werden, um die Aufmerksamkeit des Fahrers zu dokumentieren.
Doch in 30 Sekunden kann viel passieren. Der Autopilot operiert mit einer aggressiven Strategie und kann das Steuer nicht nur auf Schnellstraßen, sondern auch auf vielen Landstraßen mit kleinen Kurvenradien übernehmen. Und das geschieht im Normalfall auch souverän. Doch es kommt immer wieder vor, dass sich der Autopilot auf eine anspruchsvolle Kurve einlässt, um dann mitten in der Biegung auszusteigen und die Kontrolle an den Fahrer zurückzugeben.
Gleichzeitig schnellt das Lenkrad in die Mittellage zurück, das Auto begibt sich rapide in Richtung Fahrbahnrand – oder darüber hinaus, wenn man nicht sofort reagiert. Und auf Schnellstraßen gibt es immer wieder zuckende Lenkausschläge. Beim Spurwechsel, der auf Schnellstraßen per Blinkerhebel initiiert wird, kann es zudem schon mal passieren, dass der Tesla ein anderes Auto übersieht.
Dass es bereits tödliche Unfälle mit dem „Autopiloten“ gab, darf nicht unerwähnt bleiben, und es verwundert eigentlich auch nicht. Die insgesamt riskante Autopilot-Strategie ruft geradezu nach Regulierung, und vermutlich erweist Tesla damit der Technologie insgesamt einen Bärendienst.
Tesla ist anders
Doch für Tesla scheinen andere Regeln zu gelten, die Marke ist Kult und Lebensgefühl. Mehr als 22 Millionen Nutzer folgen Elon Musk auf Twitter, der charismatische Unternehmenslenker gilt als Universalgenie. Einen Einblick in die Welt der Tesla-Jünger gewähren jene mehr oder weniger geistvollen „Ostereier“, die im Model 3 auf der Benutzeroberfläche des Infotainment-Systems versteckt sind.
So lässt sich auf dem Bildschirm eine Landkarte des Planeten Mars aufrufen, den Musk bekanntlich als Reiseziel kultivieren will. Eine weitere Funktion verwandelt die Straße in einen schillernden Regenbogen, und schließlich lässt sich das Model 3 auch noch in einen virtuellen Schlitten samt Weihnachtsmann verwandeln, von hüpfenden Rehen umgeben. Beim Betätigen des Blinkerhebels schellen Weihnachtsglocken.
Angesichts derartiger Fabelwesen ist nicht ausgeschlossen, dass Tesla auch die einst so vollmundig angekündigte 35.000-Dollar-Variante irgendwo in der Benutzeroberfläche versteckt hat. Sie existiert derzeit nur in den Träumen und Gebeten der Kunden, die im Vertrauen auf Musks Versprechungen stolze 1.000,- Dollar Anzahlung geleistet haben.
Aktuell sind für ein Model 3 mindestens 49.000,- Dollar fällig, für das von uns gefahrene Fahrzeug wechselten sogar mehr als 55.000,- Dollar den Besitzer. Es wird auch an dieser Preispolitik liegen, dass die Nachfrage nach dem Model 3 auf dem US-Markt massiv eingebrochen ist. Zudem spricht sich herum, dass allzu viele Kunden unter Schwierigkeiten bei der Auslieferung und gravierenden Mängeln leiden – bis hin zu Totalausfällen.
Das ist schade, denn das Model 3 hätte Potential gehabt. Doch wer das Risiko dieses allzu hastig entwickelten Fahrzeugs eingehen will, dem sei zumindest geraten, die Ankunft der ersten Modelle in Deutschland abzuwarten, anstatt blind eine Anzahlung zu tätigen. Und vor dem Abschluss des Kaufvertrags mehr als eine Kurve zu durchfahren.
Fotos: Auto-Medienportal.Net, Jens Meiners / Quelle: ampnet, jm
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