In mittlerweile einhundert Jahren an Unternehmensgeschichte hat die englische Luxusmarke Bentley manche Höhen und Tiefen erlebt. Waren es in der Frühzeit noch die Bentley Boys, allesamt motorsportbegeisterte Aristokraten von der Insel, die in legendären und schnellen Wettfahrten das eine oder andere Fass Whiskey in ihren Boliden von der Insel zu den bevorzugten Urlaubszielen an der Cote d’Azur transportierten, vor allem aber Bentley mit finanziellen Zuwendungen über Wasser hielten, so war es in der Neuzeit der VW-Konzern, der den Briten unter die Arme griff.
Wenn Ende des Jahres die dritte Generation der Edel-Limousine Flying Spur zum erlauchten Kunden gelangt, kann der sich über ein High-Tech-Bündel freuen, das in ähnlicher Form nur im Porsche Panamera oder im Audi A8 zu finden ist.
Seit 1998 gehört die Traditionsmarke zu Volkswagen. Während sich BMW damals Rolls-Royce als Luxusschmiede schnappte, haben die Wolfsburger Bentley übernommen. Und mit umfangreicher Konzern-Technik bedacht. Dass in der seit 1958 dritten Neuauflage des Flying Spur ein in Wolfsburg ersonnener W12-Zylinder mit sechs Litern Hubraum unter der ewig langen Haube arbeitet, dürfte den britischen Stolz kaum berühren.
Glamourös ist der Luxus an Bord, die Leder- und Holzarbeiten eines Monarchen würdig. Der Basispreis lässt da kaum die steife Oberlippe eines Oberhaus-Lords zucken. Wenigstens 214.676,- Euro kostet das nach dem noch elitäreren Mulsanne zweite Spitzenmodell der Marke. Später sollen eine V8-Version folgen und sogar eine elektrifizierte Variante mit Hybridantrieb.
Für viele mag es der Reiz des Außergewöhnlichen sein, der das Interesse am schweren Wagen weckt. Das Konzept ist stimmig, anspruchsvolle Automobiltechnik trifft auf eine überaus stilsichere Einrichtung. Die Aura muss nicht wiederbelebt werden, wie das eher erfolglos Daimler mit Maybach versucht hat, Bentley ist Bentley und deshalb hochexklusiv. Schon die Größe beeindruckt.
5,32 Meter misst die viertürige Limousine in der Länge, der Radstand von knapp 3,20 Metern verspricht schon optisch viel Platz im Fond. Der mächtige Kühlergrill mit jetzt vertikal angeordneten Rippen schiebt sich respekt-heischend voran, das Scheinwerfer-Quartett leuchtet natürlich mit LED-Technik, die filigranen Masken hinter dem Glas muten an wie ein Swarovski-Kunstwerk.
Damit der Wendekreis trotz des langen Radstands noch sozialverträglich ist, bekommt der Flying Spur eine Allradlenkung. Bei Rangiertempo lenken die dicken 21 Zoll Leichtmetallräder gegensinnig, bei schnellerer Fahrt dann in die gleiche Richtung. Als Ergebnis genügen dem Flying Spur 11,05 Meter zum Wenden, außerdem verringert sich die Gierneigung bei schnellen Kurvenfahrten und flinken Fahrmanövern. Ein permanenter Allradantrieb mit variabler Kräfteverteilung garantiert, dass die wuchtige Kraft des W12 in Vortrieb umgesetzt wird – 635 PS gilt es, zu bändigen.
Vor allem aber das hohe Drehmoment des Zwölfzylinders stellt den Antrieb vor eine Herausforderung. 900 Newtonmeter stemmt die Maschine, die auch im SUV Bentayga und im Coupé Continental GT Dienst tut, bei eben mal 1.350 Umdrehungen in der Minute. Wenn Krafteinsatz gefordert wird, übertreibt der mehr als seidig laufende Motor nicht mit hemdsärmeliger Geräuschentwicklung. Ganz Gentleman meldet sich die Maschine dann kraftvoll, aber nicht ungezogen zu Wort.
2.437 Kilogramm wiegt der Flying Spur, in 3,8 Sekunden gelingt es dem Antrieb, das immense Gewicht von null auf 100 km/h zu beschleunigen. Da wird manch Supersportler neidisch. Mit einem Spitzentempo von 333 km/h ist Bentleys Jüngster außerdem die wohl schnellste Serienlimousine der Welt. Ein Prädikat, das bereits die beiden Vorgänger für sich beansprucht haben. Der W12, der einst in etwas zahmeren Versionen im verblichenen VW Phaeton Dienst geschoben hat, ist ein durstiger Geselle.
Damit sein Konsum nicht völlig aus dem Rahmen fällt, werden sechs Zylinder im Teillastbereich in den vorübergehenden Schlaf versetzt und abgeschaltet. Der Übergang geschieht kaum merklich, weder akustisch fällt der Unterschied auf, noch gibt sich die Ab- und Zuschaltung durch einen Ruck zu erkennen. 14,8 Liter Benzin verbraucht die Maschine laut WLTP-Zyklus auf 100 Kilometern. Nach einigen 100 zügig, aber nicht am Limit zurückgelegten Meilen durch die provenzalischen Alpen zeigte der Bordcomputer dann doch 17,7 Liter als Mittel an. 90 Liter passen in den Tank, da heißt es haushalten.
Eine weitere deutsche Zutat bekommt der Flying Spur mit dem achtgängigen Doppelkupplungsgetriebe. Es wird aufgrund des harmonischen Verlaufs der Drehmomentkurve selten wirklich gefordert, sanft wechselt es die Übersetzungen und findet stets die passende Drehzahl. In Verbindung mit der aktiven Wankkontrolle, deren Stabilisator-Aktuatoren von einem 48 Volt Bordstromnetz gespeist werden, beschert das eine Leichtfüßigkeit, die einem 2,5 Tonner kaum zuzutrauen ist.
Selbst schnelle Kurvenkombinationen besteht der Bentley mit Bravour, die präzise Lenkung erlaubt eine ausgezeichnete Kurskontrolle. Die Bremsen sprechen nicht minder feinfühlig an und lassen sich nicht anmerken, dass sie eine wahrlich schwere Aufgabe zu bestehen haben. Vier unterschiedliche Fahrprogramme bietet das aktive Fahrwerk, von komfortbetont bis sportlich und mit der Option, die einzelnen Parameter nach den Wünschen des Chauffeurs oder der Passagiere abzustimmen.
Diese Entscheidung stellt den Besitzer eines Flying Spur immer auf die Probe. Es sitzt sich außerordentlich gut im geräumigen Fond, wo Getränke in einer Kühlbox hinter der Armlehne zum Genießen einladen. Die Aussicht ist auch ohne Panoramadach formidabel, die geprägten Lederverkleidungen und perfekt geformten Bedienungselemente für die Verschattung der Fenster oder die elektrische Sitzverstellung in der zweiten Reihe machen das Reisen angenehm und unbeschwert.
Für den guten Ton stehen drei unterschiedliche Audiosysteme zur Wahl. Basisversion ist eine Audioanlage mit schlaffen 700 Watt, besser wird es mit der Anlage von Bang und Olufsen, die es auf immerhin 1.600 Watt Musikleistung bringt. Und das High-End-System von Naim verwöhnt schließlich mit satten 2.200 Watt. Alles gut, alles fein, nur beim Kofferraumvolumen gilt es Abstriche zu machen, 420 Liter sind jedenfalls kein Rekordwert.
Aber auch am Lenkrad seinen Platz einzunehmen, ist überaus lohnenswert. Die Bedienung ist einfach und an modernen Helfern fehlt es nicht. Das Angebot von Assistenzsystemen ist vollständig, ein 12,3 Zoll Display im Armaturenbrett für Medianutzung und Navigation verschwindet bei Nichtgebrauch und zeigt dann nach Wunsch eine schlichte Seite aus glänzendem Edelholz oder ein Instrumenten-Trio von Kompass, Thermo- und Chronometer.
Die passende Sitzposition ist schnell gefunden, das Head-up-Display versorgt den Fahrer stets mit den relevanten Fahrdaten. Cruisen oder Sprinten, beides beherrscht der Flying Spur mit großer Hingabe, die Entscheidung zwischen Fahrersitz und Fond fällt schwer. Wer vorne einsteigt, hat jedoch einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Passagieren auf den Rücksitzen. Er hat einen uneingeschränkten Blick auf das „Flying B“ das geflügelte Markenzeichen von Bentley über dem Kühlergrill.
Und weil Luxus für manchen eine der schönsten Nebensachen der Welt ist, gibt es diese Skulptur auch noch in einer nur unwesentlich teureren Sonderausführung. Bei ihr werden die üblicherweise metallenen Flügel aus transparentem Glas gegossen. Das kostet nur wenig mehr als 1.000,- Euro Aufpreis.
Von der zweiten Generation des Flying Spur hat Bentley immerhin 37.000 Exemplare verkauft. Trotz der Ansiedlung im obersten Preissegment erwartet die Führungsriege eine Steigerung. 2018 haben die Briten 10.000 Bentleys gebaut, für das laufende Jahr sind 12.000 Stück geplant.
Und wenn dann 2023 in allen Baureihen eine elektrifizierte Version angeboten wird und es schick ist, mit geringem Verbrauch zu reisen, dann könnten es sogar 16.000 Luxus-Limousinen aus Crewe werden, die den Union Jack über dem Automarkt trotz Brexit weiter in einer strammen Brise flattern lassen…
Shots Magazin / © Fotos: Foto: Auto-Medienportal.Net, Michael Kirchberger / Quelle: ampnet, mk
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